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Das Fachmagazin zur Arbeits- und Betriebswelt von heute und morgen.

WERKWANDEL 01/2022 Vordenker Modernes Arbeitsrecht? Ich begrüße sehr, dass die Ampel-Koalition das Thema nach Jahren der Stagnation aufgreifen möchte. Stefan Wolf Vordenker: Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeber verbandes Gesamtmetall | Foto: Gesamtmetall (Amin Aktar) facher, für Investitionen zwischen Flensburg und Sonthofen zu werben. Ohne Investitionen verlieren wir Industriearbeitsplätze und damit Wohlstand. Und es ist auch eine Mentalitätsfrage: Wir haben in Deutschland Unternehmen, für die Deutschland mehr ist als nur ein Standort unter vielen, und Beschäftigte, für die ihre Arbeit mehr ist als nur ein Job. Das ist ein riesiger Vorteil. Allerdings muss uns klar sein, dass auch woanders viele kluge und ehrgeizige Menschen arbeiten und wir uns jeden Tag neu beweisen müssen. Laut ifo-Institut bewegten sich die Klagen über Materialmangel in der deutschen Industrie auf Rekordniveau. Müssen wir Lean Production mit »Just in Time« und geringer Fertigungstiefe sowie Lagerhaltung neu denken, um angesichts stockender Lieferketten zu resilienteren Strukturen zu kommen? Wolf: Das Problem der Lieferengpässe ist komplex. »Just in Time« war eine Maßnahme, um die Produktion zu optimieren, insbesondere auch angesichts des Kostendrucks. Dieser Druck ist nicht verschwunden. Für einzelne Unternehmen kann eine neue Aufstellung sinnvoll sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich alle Vorprodukte in Zukunft in Mitteleuropa herstellen lassen — zumindest nicht zu Preisen, die der Kunde zu zahlen bereit ist. Mit anderen Worten: Die eine oder andere Wertschöpfungskette wird vielleicht neu justiert, aber wir werden nicht insgesamt zurück in die 1980er-Jahre steuern. Die Ampel fordert im Koalitionsvertrag »ein modernes Arbeitsrecht, das Sicherheit und fair ausgehandelte Flexibilität ermöglicht«. Was verstehen Sie darunter, und mit welchen Forderungen knüpfen Sie da aus Arbeitgebersicht an? Wolf: Zunächst begrüße ich sehr, dass die Ampel-Koalition das Thema nach Jahren der Stagnation aufgreifen möchte. Für mich gilt immer, dass alles nicht nur in der Theorie, sondern auch in der betrieblichen Praxis funktionieren muss. Die Arbeit, die anfällt, muss erledigt werden — für alles andere finden wir immer eine Lösung. Diese Vielfalt der Arbeitszeitgestaltung darf nicht bürokratisch erstickt werden. Zu einer wirklichen Reform gehört beispielsweise aber auch eine Abkehr vom starren Acht-Stunden-Tag und eine Anpassung an die europäische Arbeitszeitrichtlinie. Diese sieht zum Beispiel eine wöchentliche statt einer täglichen Betrachtung vor. Zudem diskutieren die Sozialpartner seit Längerem über die Elf-Stunden-Ruhezeitregel (§ 5 Arbeitszeitgesetz). Wie sollte eine zeitgemäße Regelung der Ruhezeiten aussehen? Wolf: Die Arbeitswelt hat sich doch enorm weiterentwickelt. Beispielsweise stammt die Regelung von 11 Stunden Ruhezeit von 1918. Seitdem hat sich die Arbeitswelt fundamental und zuletzt immer schneller gewandelt. Es geht darum, dass Arbeitnehmer, die das wollen, die Ruhezeiten anders verteilen können — und die Arbeitgeber das erlauben dürfen. Da brauchen wir das Rad gar nicht neu zu erfinden. Die geltende Arbeitszeitrichtlinie sieht ja ausdrücklich vor, dass die Sozialpartner die Ruhezeiten branchenspezifisch ausgestalten können. Wir brauchen daher endlich eine klare und unkonditionierte Öffnungsklausel für die Sozialpartner im Arbeitszeitgesetz. Die Ampel will den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger spricht von einer groben Verletzung der Tarifautonomie. Die BDA erwägt eine Klage gegen das Ampel-Vorhaben. Wie beurteilen Sie das Vorhaben? Wolf: Ich teile die Kritik von Rainer Dulger, auch wenn uns in der Metall- und Elektro-Industrie der Mindestlohn in der Höhe nur mittelbar betrifft. Wo- 12

WERKWANDEL 01/2022 Vordenker Foto: aerial-drone/stock.adobe.com rum es geht, ist die Tatsache, dass hier letztlich die Politik über die Höhe der Löhne bestimmen will. Und das ist, egal, ob einem der Eingriff gefällt oder nicht, ein Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie. Ich fürchte auch eine Initialzündung für eine Lohn-Preis-Spirale, die zu einer Stagflation führen würde. Und ist das alles überhaupt so schlimm, was Bundesarbeitsminister Heil da vorhat? Wolf: Bei der Einführung des Mindestlohns Anfang 2017 hat seine Vorgängerin Andrea Nahles noch versprochen, dass das Thema nicht zum Wahlkampf missbraucht werde. Das Versprechen hat sie nicht gehalten. Und der Blick in die Geschichte zeigt: Als der Staat das letzte Mal das Recht hatte, über die Löhne zu bestimmen, hat er Streiks auch durch Zwangsschlichtungen beendet — und sogar Lohnsenkungen durchgesetzt. Wer das nicht will, darf dem Staat nicht sein Recht abtreten, die Arbeitsbedingungen selbst zu regeln. Die Ampel-Koalition will eine »Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems« etablieren, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Wolf: Uns muss in Deutschland klar sein: Die Menschen, die wir hier haben möchten, können sich aussuchen, wo sie hingehen. Die werden in Australien, Großbritannien und Kanada, in den Emiraten, den USA oder Singapur genauso gesucht — und teilweise zu deutlich besseren Bedingungen. Die brauchen uns nicht, aber wir brauchen sie! Spitzenkräfte zu uns zu holen ist kein Gnadenakt, für den uns die Betroffenen dankbar sein müssen — sondern wir müssen die von uns überzeugen! Eine nach Bedarfen ausgelegte Einwanderungspolitik nach Vorbild Kanadas wird schon lange diskutiert. Kann sie den Fachkräftemangel wirksam begegnen? Wolf: Das ist aus meiner Sicht ein unverzichtbarer Baustein. Aber das alleine wird nicht reichen. In den kommenden Jahren werden fast fünf Millionen Babyboomer in Rente gehen. Das Erwerbstätigenpotential sinkt entsprechend. Was heißt das? Wir werden die Zahl der Schulabgänger ohne Schulabschluss auf Null senken müssen. Wir müssen die unfreiwilligen Auszeiten von Frauen auf Null senken, wenn sie zum Beispiel wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten zu Hause bleiben müssen, obwohl sie eigentlich gerne wieder arbeiten gehen würden. Und wir werden über längere Arbeitszeiten reden müssen. Keine Maßnahme alleine wird helfen, wir werden alle vier Ansätze gleichzeitig — und noch viel mehr — brauchen. Was sollte die neue Bundesregierung darüber hinaus tun, um den Fachkräftemangel zu lindern? Wolf: Es gibt sehr viele kleinere und größere Stellschrauben für das Erwerbspersonenpotenzial. Ein Beispiel: Ein Kernthema allen Handels ist die Frage, wie und wofür ich knappe Ressourcen einsetze. Ich muss Mitarbeiter beschäftigen, um Bürokratievorgaben erfüllen zu können — von den von der EU auferlegten Entsenderegelungen bei dem Einsatz von Mitarbeitern im Europa, obwohl doch die Personenverkehrsfreiheit zu den Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes gehört, über die Anwendung der Datenschutzvorschriften bis zur rechtssicheren Formulierung von Stellenanzeigen, um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen. Sinnvoller fände ich es, wenn ich Mitarbeiter für die Arbeiten beschäftigten kann, mit denen wir Geld verdienen. Hier können 13

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