WERKWANDEL 01/2023 Editorial FEBRUAR | 2023 Liebe Leserinnen und Leser, In der aktuellen Debatte um den Fachkräftemangel — Schwerpunktthema dieser Ausgabe — ist oft die Rede von den Babyboomern der 50er- und 60er-Jahre. Seinen Höhepunkt erreichte der Babyboom 1964 mit 1,36 Millionen Neugeborenen in Deutschland. 2011 erlebten wir mit nur 663 000 Neugeborenen die niedrigste Geburtenzahl seit 1946, so Destatis. 2030/31 erreicht der besonders geburtenstarke Jahrgang 1964 sein Renteneintrittsalter. Deshalb ist mit einer Verschärfung des Arbeits- und Fachkräftemangel zu rechnen. Der Arbeitsmarktforscher Ulrich Walwei, Vizepräsident des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, beziffert die Lücke bis 2035 im Vordenker-Gespräch ab Seite 11 auf sieben Millionen fehlende Erwerbspersonen. Aber er hat dabei eine wichtige Ergänzung: Dieser Worst Case werde nur eintreten, wenn »hierzulande nichts unternommen würde, um gegenzusteuern«. In die Politik scheint nun — endlich — Bewegung geraten zu sein. Die Bundesregierung hat im November Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt, das unter anderem ein Punktesystem für qualifizierte Einwanderung vorsieht. Das ist von Arbeitgeberseite schon vor Jahren gefordert worden. So berichtete das Handelsblatt bereits am 19. Juli 2010 über einen entsprechenden Vorstoß des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät, reagiert man in Berlin auf den seit Jahrzehnten absehbaren demografischen Wandel. Es gibt über neue Regeln fürs Einwandern hinaus auch Stellschrauben, an denen wir im eigenen Land drehen können. Dazu zählt eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren. Dafür muss der Staat Rahmenbedingungen beispielsweise bei der Kinderbetreuung verbessern. Hier sind aber auch arbeitswissenschaftlich unterstützte intelligente Lösungen in den Unternehmen gefragt — zum Beispiel, wie Ältere länger motiviert und leistungsfähig im Arbeitsleben gehalten werden können. Oder auch clevere Automatisierung und weitere Optimierung von Prozessen. Zum Schluss noch eine positive Nachricht, die mich verhalten optimistisch auf 2023 blicken lässt: Wir haben auch dank der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Jahr 2022 trotz aller Krisen einen Beschäftigungsrekord erlebt. Und das IAB geht davon aus, dass unser Arbeitsmarkt auch in diesem Jahr robust bleibt, wenn um uns herum nichts Unvorhersehbares geschieht. Prof. Sascha Stowasser | ifaa-Direktor 04
WERKWANDEL 01/2023 Arbeitswelt in Bildern Exoskelette unterstützen Beschäftigte bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten — hier im Einsatz auf dem Flughafen Stuttgart. Im demografischen Wandel können Exoskelette eine Vorbeugung gegen Muskel-Skelett-Erkrankungen sein. | Foto: German Bionic Systems GmbH 05
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