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WERKWANDEL Ausgabe 1/2023 Schwerpunkt Fachkräftesicherung

WERKWANDEL 01/2023 Arbeitsrecht Foto: Charles Parker/Pexels Flötistin verweigerte Coronatest: Bundesarbeitsgericht bestätigt Aussetzung ihrer Gehaltszahlung Arbeitsrechtler erläutert Entscheidung zu neuer Rechtsfrage infolge der Pandemie Die Coronapandemie wirft in der Rechtsprechung zum Teil völlig neue Rechtsfragen auf. Aktuell ging es um folgende Fragestellung: Hat ein Arbeitgeber das Recht, einseitig Coronatests anzuordnen — und müssen Mitarbeitende das akzeptieren? Sachverhalt Eine Flötistin (Bruttomonatsgehalt nach Mitteilung des Bundesarbeitsgerichtes zuletzt 8.351,86 Euro) hatte gegen ihren Arbeitgeber, die Bayerische Staatsoper, geklagt: Es ging vor dem Arbeitsgericht um die Verpflichtung der klagenden Musikerin, sich bei Ausübung ihrer Tätigkeit einem Coronatest zu unterziehen. Die Beklagte hatte der Klägerin mitgeteilt, dass sie für die Teilnahme an Proben und Aufführungen einen negativen PCR- Test vorlegen müsse. Nachdem die Flötistin diesen Test verweigert hatte, beschäftigte die beklagte Bayerische Staatsoper sie zunächst nicht mehr und stellte die Gehaltszahlungen zum 24.08.2020 ein. Nach Vorlage eines positiven Tests am 28.10.2020 nahm die Beklagte die Gehaltszahlung wieder auf. Die Klägerin begehrte vor dem Arbeitsgericht nun Vergütung (Annahmeverzugslohn) für den von der Gehaltszahlung ausgenommenen Zeitraum. Die beklagte Arbeitgeberin verwies unter anderem auf ein betriebliches Hygienekonzept: Danach seien die Anordnung von Coronatests sowie die Weitergabe entsprechender Ergebnisse an einen sogenannten Testausschuss zulässig. Entscheidung Am 1. Juni entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG vom 01.06.2022 — 5 AZR 28/22, DB 2022, 2605): Der geltend gemachte Anspruch der Flötistin war nicht gegeben. Denn die Klägerin war aus Sicht des Gerichtes verpflichtet, den PCR-Test durchzuführen. Im Einzelnen gilt Folgendes: Annahmeverzug Der Arbeitgeber hat die nach § 611 Abs. 2 BGB vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Er kommt in Verzug (§ 293 BGB), wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im Arbeitsverhältnis muss der Arbeitgeber die Leistung 60

WERKWANDEL 01/2023 Arbeitsrecht grundsätzlich tatsächlich anbieten (§ 294 BGB). Er hat sie so anzubieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen beziehungsweise deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO. Ein wörtliches Angebot genügt (nur), wenn der Arbeitgeber ihm erklärt, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen (§ 295 BGB). Ein Angebot der Arbeitsleistung kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt. Leistungswilligkeit Das Angebot des Arbeitnehmers zur Leistungserbringung setzt seine Leistungswilligkeit voraus. Der Arbeitgeber gerät nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu erfüllen (BAG vom 21.07.2021 — 5 AZR 543/20, DB 2021, 3038). Leistungswille und Leistungsfähigkeit sind vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen. Mit der Verweigerung eines angeordneten Coronatests bringt die Arbeitnehmerin ihre Leistungsunwilligkeit zum Ausdruck mit der Folge, dass ein Annahmeverzug nicht gegeben ist. Direktionsrecht/Schutzmaßnahmen Die entsprechende Weisung (hier: Anordnung eines Coronatests der Bayerischen Staatsoper gegenüber einer Flötistin — als Voraussetzung für die Erbringung der Arbeitsleistung) war wirksam. Sie konnte insbesondere auf die Verpflichtung des Arbeitgebers gestützt werden, zum Zwecke des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer (Vermeidung einer Ansteckung) entsprechende Schutzmaßnahmen vorzunehmen (§ 618 Abs. 1 BGB). Gemäß § 618 Abs. 1 BGB hat der Arbeitgeber Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt ist, wie die Natur der Dienstleistung es gestattet. Entsprechende Schutzmaßnahmen werden durch das Arbeitsschutzgesetz näher ausgestaltet. Der Arbeitgeber hat danach vorrangig technische, dann organisatorische und zuletzt persönliche Maßnahmen zum Schutze der Arbeitnehmer zu ergreifen. Die entsprechenden Anordnungen zur Umsetzung der Schutzpflichten sind Weisungen HINWEIS Über besonders praxisrelevante arbeitsrechtliche Entscheidungen informiert fortlaufend aktuell die Praktiker-Zeitschrift »Personalpraxis und Recht« (PuR) — zu finden unter www.ra-schiefer.de. gemäß § 106 GewO. Diese können nach billigem Ermessen über das arbeitsschutzrechtliche Mindestmaß hinausgehen. Körperliche Unversehrtheit Ein mit der Durchführung des Coronatests einhergehender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist minimal, verhältnismäßig, durch ein legitimes Ziel gedeckt und zur Erreichung des Ziels geeignet. Datenschutz Datenschutzrechtliche Bestimmungen stehen der Anordnung nicht entgegen. Eine entsprechende Datenverarbeitung besonders geschützter personenbezogener Daten (§ 26 Abs. 3 BDSG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b. DSGVO) ist zulässig und erforderlich. Der Datenschutz genießt gegenüber dem Arbeitsschutz keinen absoluten Vorrang. Fazit von Professor Bernd Schiefer: Die Entscheidung konkretisiert das Rechtsinstitut des sogenannten Annahmeverzugs und seine Voraussetzungen. Darüber hinaus beschreibt sie das Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß 106 GewO. Dabei kommt das BAG zu Recht zu dem Ergebnis, dass die Anordnung eines Coronatests insbesondere mit Blick auf die arbeitgeberseitigen Schutzpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer gemäß § 618 Abs. 1 BGB durch das Direktionsrecht gedeckt ist. Der damit einhergehende Eingriff in das Grundrecht des Arbeitnehmers auf körperliche Unversehrtheit ist minimal (Wattestäbchen). Datenschutzrechtliche Bestimmungen stehen nicht entgegen. Autor +49 211 4573267 Prof. Dr. jur. Bernd Schiefer Geschäftsführer unternehmer nrw, Düsseldorf RA/FA für Arbeitsrecht | Schiefer Rechtsanwälte Düsseldorf | Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius, Köln Langjährig berät und vertritt Bernd Schiefer, Professor an der Fresenius-Hochschule, Unternehmen als Rechtsanwalt sowie als Verbandsgeschäftsführer arbeitsrechtlich. 61

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