Erneuerbare Energien sind ein immer wichtigeres Thema. Hier ist die Gleichstromtechnologie klar im Vorteil. Alexander Sauer DC-Netz per Tablet intelligent und flexibel steuern | Foto: © Rainer Bez/Fraunhofer IPA In der Factory 56 von Mercedes-Benz laufen teilweise bereits Anlagen mit DC-Technologie. Was geschieht hier konkret? Sauer: Mercedes Benz hat die Halleninfrastruktur für seine Factory 56 nach dem Vorbild des DC-Industrie-Projekts in Gleichstromtechnologie aufgebaut. Das heißt: Lüftungs- und Klimatechnik plus Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und Batteriespeicher für weniger sonnige Tage. Herausforderung war hier die Regelung der Komponenten. Alle Komponenten müssen so angesteuert, dass die Spannung in einem definierten Band bleibt. Die Factory 56 deckt nach Konzernangaben 30 Prozent ihres Energiebedarfs über eine Photovoltaik-Anlage. Sauer: Hier spielt die DC-Technik einen weiteren Vorteil aus. Denn Photovoltaik liefert Gleichstrom. Dieser Solarstrom kann in Gleichstromfabriken ohne Wechselstromrichter direkt lokal verwendet werden. Man braucht nur einen einfacheren Gleichstrom-Umrichter, der für die erforderliche Spannung sorgt. Auch Batteriespeicher, die in der Factory 56 von Mercedes Benz im Einsatz sind, arbeiten mit Gleichstrom. Wir haben hier ein geschlossenes lokales System, in dem man leicht Strom hin- und herschieben kann. Fünf bis zehn Prozent Energieeinsparung soll die Gleichstromtechnologie nach Ihren Angaben bringen. Bitte erläutern Sie uns diese Aussage. Sauer: Das bezieht sich auf den laufenden Betrieb einer Fabrik. Wer keine Energie rekuperieren kann, spart nicht soviel Energie mit der Gleichstromtechnologie, weil er nur durch den Wegfall von Wandlungsverlusten Energie sparen kann. Die Sparpotenziale sind durch indirekte Effekte aber noch höher! Wer vorher eine instabile Energieversorgung hatte, kann durch Gleichstrominfrastrukturen Produktionsausfälle vermeiden. Zusätzliche Sparpotenziale bietet die Gleichstromtechnologie bei der Ersteinrichtung durch eine weniger aufwändige Verkabelung, weil sie nur zwei statt drei Kupferleiter braucht, und durch potenziellen Wegfall von Trafostationen. Sind Gleichstromfabriken am Ende sogar billiger als Wechselstromfabriken? Sauer: In einigen Fällen ja. Im Moment aber vielfach noch nicht! Ein wichtiger Grund dafür: Gleichstromkomponenten werden noch nicht in großen Stückzahlen gefertigt. Wenn man aber eine Gleichstromfabrik von Grund auf neu plant und baut, kann sie bereits jetzt günstiger sein als die Wechselstromalternative. Man kann beispielsweise auf teure Wechselstromtrafostationen verzichten. So sind Einsparungen bereits bei der Investition möglich. Hinzu kommen Einsparungen im laufenden Betrieb. Denn Trafos sind selbst Energiefresser, die so ebenfalls eliminiert werden. Wandlerstufen entfallen. Man ist mit einer Gleichstromfabrik zudem unabhängig von Frequenzfehlern und Verunreinigungen im öffentlichen Wechselstromnetz, die beispielsweise durch Einspeisung erneuerbarer Energien entstehen und zu Produktionsausfällen führen können. Ihr Forschungsprojekt läuft seit 2020 und wird Ende 2022 enden. Sie arbeiten mit rund 30 Partnern zusammen. Welche Erfahrungen haben Sie in der Praxis gemacht? Sauer: Eine technische Herausforderung ist das Schalten von Gleichstrom. Bei Wechselstrom hat man Nulldurchgänge. Bei Gleichstrom gibt es das 12
WERKWANDEL 02/2022 Vordenker nicht. Wenn man in DC-Netzen schalten will, entstehen Lichtbögen. Diese müssen gezielt unterbunden werden, um Gefahren zu vermeiden. Die Fachkräftefrage ist ein weiteres Thema: Wir haben es im Regelfall mit Personal zu tun, das Erfahrungen mit Wechselstromnetzen hat. Hier gibt es Aus- und Weiterbildungsbedarf. Dafür haben wir Transferzentren aufgebaut. Wichtig für die praktische Umsetzung ist auch, dass sich die Beteiligten auf ein einheitliches Niveau für die Gleichspannung einigen. Wir brauchen hier Normung beziehungsweise Standardisierung. Dieses Thema wird beispielsweise über den ZVEI und Unternehmen auf nationaler und europäischer Ebene vorangetrieben. Global wird es aber wohl noch etwas länger dauern. Stellen sich Technologie-Zulieferer bereits auf den neuen Bedarf an DC-Technologie ein? Sauer: Die Firma HOMAG, einer unserer Projektpartner, sagt: »Wir wollen alle unsere Maschinen DC-ready ausliefern, damit die Kunden bei der Umstellung auf Gleichstromnetze einfach nur den Stecker wechseln müssen.« Auch Kuka will Roboter künftig DC-ready konstruieren. Aktuell steigen in Deutschland aus bekannten Gründen die Energie-Preise. Glauben Sie, dass dies auch die energieeffiziente Gleichstromtechnik voranbringen kann? Sauer: Ich arbeite seit Jahren auf dem Feld der Energieeffizienz. Gerade in den vergangenen Wochen ist dieses Thema beispielsweise durch Bundeswirtschaftsminister Habeck in die Schlagzeilen gekommen. Es war noch nie so prominent wie jetzt. Gleichstrom und Energie-Autarkie bewegen auch die Industrie zunehmend: Die Anfragen an uns sind seit Ende 2019 deutlich gestiegen. Das hat nicht allein an den krisenhaften Entwicklungen gelegen, die wir derzeit erleben müssen, sondern auch daran, dass die CO2-Emissionen in der Wirtschaft schon seit längerem ein wichtiges Thema sind. Dabei geht es den Unternehmen neben kommerziellen Aspekten wie dem nationalen CO2-Preis auch um Fragen der Corporate Social Responsibility, CSR. Das reicht bis in die Lieferketten hinein. Auch erneuerbare Energien sind ein immer wichtigeres Thema. Hier ist — wie am Beispiel von Mercedes Benz beschrieben — die Gleichstromtechnologie klar im Vorteil. OEM Die Abkürzung OEM steht für Original Equipment Manufacturer = Erstausrüster oder Originalgerätehersteller. Ein OEM stellt Produkte oder Komponenten her, die er jedoch nicht selbst an Endkunden verkauft. In welchen Zeitdimensionen müssen wir denken, bis Gleichstromfabriken in die Fläche gehen? Sauer: Noch vor einem Jahr hätte ich diese Frage anders beantwortet. Doch momentan gehe ich von einer exponentiellen Entwicklung aus. Zwar ist Gleichstromtechnologie nicht für jede Fabrik sinnvoll. Ich glaube aber, dass wir in fünf Jahren in Deutschland eine signifikante Anzahl energieeffizienter Gleichstrom-Fabriken haben werden. Viele große OEMs werden spürbare Anteile ihrer Fabriken mit Gleichstrom ausstatten. Viele Zulieferer liefern Produktivanlagen bereits DC-ready. Die Anfragen der Ausrüster und Produzenten nehmen zu. Es wird schneller gehen als man denkt! Interview: Carsten Seim INTERVIEWPARTNER Autor Professor Sauer ist Herausgeber des Buches »Die Gleichstromfabrik: Energieeffizient. Robust. Zukunftsweisend.« (Hanser Verlag). Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Alexander Sauer leitet seit 2015 das Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP der Universität Stuttgart sowie seit 2020 das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Er studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre an der RWTH Aachen. Er ist Vorsitzender des VDI-Fachausschusses »Energieflexible Fabriken« und Mitglied in weiteren Gremien, die sich mit diesem Thema befassen. Das Projekt »DC-Industrie« auf den Seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz +49 179 2043542 Carsten Seim Redakteur avaris | konzept Carsten Seim glaubt, dass intelligentes Engineering für mehr Nachhaltigkeit sorgen kann. 13
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