Aufrufe
vor 3 Wochen

WERKWANDEL 03_2024

  • Text
  • Digitale
  • Digitalisierung
  • Arbeitswissenschaft
  • Ifaa
  • Arbeitswelt
  • Arbeit
  • Foto
  • Gesundheit
  • Werkwandel
  • Unternehmen
Das Arbeitsweltmagazin Sonderausgabe Gesundheit

WERKWANDEL 02/2024 Vordenker Foto: Universitätsmedizin Essen Digitale Notaufnahme der Universitätsmedizin Essen Die im Jahr 2018 eröffnete digitale Notaufnahme umfasst 13 Untersuchungs- und Behandlungsräume sowie drei Schock-Räume auf insgesamt 1000 Quadratmetern und beschäftigt 50 Mitarbeiter. Beispielhafter Einsatz digitaler Technologien: Echtzeit-Monitoring — am Ort des Notfalls oder auch auf dem Transport per Rettungshubschrauber aufgezeichnete Patientendaten werden digital direkt ans Krankenhaus übertragen und liegen dem Team der Notaufnahme bereits vor Eintreffen des Patienten vor. Mehr menschliche Nähe und Zuwendung durch digitale Transformation und KI? Wie tragen Sie diese Botschaft in die Öffentlichkeit Ihrer Mitarbeitenden und Patienten? Anfangs haben wir es unter anderem durch Rundschreiben versucht, sind damit aber nicht in die Breite gelangt. Deshalb habe ich mich entschieden, als »Medical Influencer« in soziale Medien zu gehen. Es gab anfangs viele negative Kommentare vor allem aus meinem Mediziner-Kollegenkreis, wie ich als Direktor einer Universitätsklinik einen solchem Schritt tun kann! Auf der anderen Seite habe ich aber auch viel Zuspruch aus der Bevölkerung und dem Kreis der Mitarbeitenden erlebt. Die Menschen haben wahrgenommen, dass es mir mit dem Projekt »Digitalisierung« um eine Besserung der aktuellen Situation geht, um Nähe und Nachhaltigkeit. Ein erster Meilenstein war der Aufbau unserer digitalen Notaufnahme für Non-Trauma Patienten, also etwa mit Bewusstlosigkeit, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Sie wurde im Juni 2018 eröffnet. Wir konnten sie von Grund auf neu aufbauen, weil bis zu diesem Zeitpunkt in der Universitätsmedizin Essen gar keine Notaufnahme für diese Patientengruppe existiert hatte. In unserer Notaufnahme werden Patienten digital einer Dringlichkeits-Stufe zugeordnet. Sie unterschreiben auf einem Tablet. Alle Patienten werden in einem elektronischen System geführt, das auch Wartezeiten misst. Für typische Beschwerdebilder wie Bauchschmerzen oder Atemnot schlägt das System weitere diagnostische Schritte und Laboruntersuchungen vor. Die Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) am Universitätsklinikum Essen: Das Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) ist 2020 als eines der ersten in Deutschland an den Start gegangen. Professor Jochen A. Werner: »Wir haben das Institut mit dem Ziel gegründet, KI-Lösungen aus der Praxis für die Praxis zu entwickeln, die in der direkten Patientenversorgung eingesetzt werden.« Am Universitätsklinikum Essen kommt KI aktuell schon hier zum Einsatz: › Diagnose bestimmter Lungenerkrankungen › Vermessung der Leber bei Transplantationen › Bewertung des Augenhintergrunds › Erkennung seltener Erkrankungen › Vorhersage von Metastasierungen › Bronchoskopie: Diese wurde bereits mithilfe des KI- gestützten ARCHIMEDES-Systems durchgeführt, das den Weg der Sonde durch die Lunge optimiert. › KI-Unterstützung in der Kardiologie und Onkologie: Sie hilft bei der Früherkennung von Tumoren im Rahmen der Darmspiegelung. › Large Language Models (LLM): Sie unterstützen das Personal bei der Dokumentation von Patientendaten und -informationen und übernehmen sich wiederholende Routineaufgaben. Ergebnisse sowie Vitalwerte der Patienten sind in diesem System verfügbar. Alles ist so miteinander vernetzt, dass Ärztinnen und Ärzte sämtliche erforderlichen Informationen haben, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Bei einer Entlassung oder Weiterbehandlung in unserer Universitätsmedizin können ohne Zeitverzögerung sofort alle Papiere ausgegeben werden. Mit dem Verlassen der Notaufnahme ist der Fall arbeitstechnisch abgeschlossen. Das Pilotprojekt »digitale Notaufnahme« führte zu Anfragen anderer Einrichtungen der Universitätsmedizin, die ebenfalls digital eingerichtet werden wollten. Wir haben digitale Talente abgeholt, die mit unserer Unterstützung arbeiten. Mitten in diesem Aufbruch überraschte uns die Corona-Pandemie. Welche Konsequenzen hatte das für Ihr Digitalisierungs-Projekt? In dieser Lage war es ein Glück, dass wir die zuvor von manchen kritisch betrachtete 16

WERKWANDEL 03/2024 Vordenker digitale Notaufnahme und weitere hocheffiziente Einrichtungen zur Behandlung von Infektionskrankheiten hatten. Wir waren eine der größten Covid-Einheiten in Deutschland. Wir konnten durch unsere fortgeschrittene digitale Infrastruktur sehr schnell notwendige Daten sammeln und auswerten. Der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege (SVR) kritisiert, dass »im deutschen Gesundheitswesen die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht professionell genutzt werden«. Wie können wir hier zu Verbesserungen kommen? Wir haben in unserem Haus die elektronische Patientenakte eingeführt und verfügen über eine sehr breite Datenbasis, die allen zur Verfügung steht, die es angeht. Doch diese Durchlässigkeit zum Nutzen der Patienten endet an unseren Klinikmauern. Es fehlt an einer digitalen, sektorenübergreifenden Infrastruktur. Nur wenn die einzelnen Sektoren und Stakeholder reibungslos miteinander vernetzt sind, können KI und Digitalisierung ihr gesamtes Potenzial entfalten, sodass der richtige Patient im für sein Krankheitsbild richtigen Bett landet, sofern er oder sie überhaupt ein Klinikbett benötigt und nicht ebenso gut, vielleicht sogar noch besser, ambulant versorgt werden könnte. Digitaler Datenaustausch kann auch die Ressourcennutzung unserer Krankenhaus-Infrastruktur optimieren: Aktuell behandeln wir als Universitätsmedizin zum Beispiel noch viel zu oft Fälle, die durchaus auch an einem kleineren Klinikum gut, ja vielleicht sogar besser, aufgehoben wären als bei uns. Gleichzeitig behandeln Grund- und Regelversorger hochkomplexe Krankheitsfälle, die eigentlich universitäre Spitzenmedizin benötigen. Der richtige Patient im richtigen Bett — das hört sich banal an, wäre aber schon ein Quantensprung für eine bessere und effizientere Gesundheitsversorgung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant, die Gematik per Gesetz in eine digitale Gesundheitsagentur umzuwandeln, die dank zusätzlicher Durchgriffsrechte für mehr Tempo in der Digitalisierung sorgen soll. Es bleibt abzuwarten, ob das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetzes (GDAG) den Bundestag passieren wird. Aber der richtige Weg ist es allemal. Neben einem entsprechenden Budget braucht es begleitend auch eine grundlegende Strukturreform. Mehr Geld allein wird keines unserer Probleme in der deutschen Gesundheitsversorgung lösen. Ich würde mir wünschen, dass die einzelnen Interessengruppen ihre Prioritäten neu ordnen und diese in das Gesamtbild einer besseren Gesundheitsversorgung einsortieren. Wir brauchen einen sektorenübergreifenden Datenaustausch. Nur so können KI und Digitalisierung in der Medizin ihr gesamtes Potenzial entfalten. Digitaler Datenaustausch kann auch die Ressourcennutzung unserer Krankenhaus- Infrastruktur optimieren. Professor Jochen A. Werner Der SVR fordert darüber hinaus, »digitale Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung stärker zu verankern« sowie »die entsprechenden Infrastrukturen und Lehrkapazitäten gezielt auszubauen«. Was brauchen wir hier? Bei der Ausbildung des Pflege-Nachwuchses müssen wir den Fokus stärker auf digitale Kompetenzen lenken. In Essen haben wir zum Beispiel gemeinsam mit der FOM Hochschule in Essen den berufsbegleitenden Studiengang Pflege und Digitalisierung entwickelt. Der Austausch auf Augenhöhe mit Informatikern und Datenwissenschaftlern wird zum festen Bestandteil des Arbeitsalltags des Arztes werden. Mediziner brauchen die Fähigkeit, planvoll mit Daten umzugehen, diese kontextbezogen auszuwerten, zu interpretieren und zu hinterfragen sowie anwenden zu können. Das muss Bestandteil der Mediziner-Ausbildung werden. Digitalisierung und KI im Gesundheitswesen brauchen große Datenmengen. Wie gehen Sie mit Datenschutz-Bedenken um? Ohne den Einsatz von KI sind medizinische Forschung und medizinischer Fortschritt gar nicht mehr denkbar. Die Qualität der Ergebnisse einer KI hängt jedoch maßgeblich mit der Qualität und der Quantität der Daten zusammen, mit denen sie trainiert wurde. Datenschutz ist wichtig, aber er darf nicht zum Hemmschuh für die Digitalisierung und den Einsatz sowie die Entwicklung von KI in der Medizin werden. Menschen geben bei Online-Einkäufen und -Bankgeschäften bedenkenlos persönliche Daten preis. Für mich ist nicht nachvollzieh- 17

© 2021 ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.

DatenschutzImpressum