WERKWANDEL 03/2024 Arbeitswelt gestalten Gesundheit der Mitarbeitenden als »Herzenssache« ifaa-Interview mit AGV-Geschäftsführer Dr. Michael Gold über »Fehlzeiten, Gesundheit, Pflicht und Kür des Arbeitgebers« Dr. Michael Gold ist Geschäftsführer beim Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland e. V. (AGV). Als Diplom-Ökonom arbeitet er in vielen Gremien (unter anderem Sozialpartner-Projekt »Mitdenken 4.0« der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft [VBG], Ausschüsse »Arbeitsmarkt«, »Betriebliche Personalpolitik« und »Tarifpolitik« der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände [BDA]) mit und verantwortet im AGV unter anderem die volks- und betriebswirtschaftlichen Themen inklusive der ökonomischen Begleitung der Tarifverhandlungen, die Verbandsstatistiken sowie den Bereich Gesundheitsschutz und -management. Dr. Stephan Sandrock, Leiter des Fachbereichs Arbeits- und Leistungsfähigkeit beim ifaa, hat mit ihm gesprochen. Stephan Sandrock: Herr Gold, hohe Krankenstände, so berichten unter anderem die Krankenkassen, sind derzeit ein wichtiges Thema; viele Unternehmen klagen über besonders hohe Abwesenheitszeiten, die mit direkten und indirekten Kosten verbunden sind. Ist dieses Phänomen auch bei Ihnen in der Branche der Versicherungsunternehmen zu beobachten, falls ja, was sind Erklärungsansätze? Natürlich machen Erkältungskrankheiten keine Unterschiede zwischen den Beschäftigten, auch nicht zwischen unterschiedlichen Branchen. Michael Gold: Blicken wir in die Vergangenheit, beobachten wir seit dem Jahr 2007 einen kontinuierlichen Anstieg der Fehlzeitenquote. Vor 2007 lag diese 20 Jahre lang zwischen 3,9 Prozent und 4,3 Prozent. Danach stiegen die Fehlzeiten relativ Dr. Michael Gold | Foto: AGV 54
WERKWANDEL 03/2024 Arbeitswelt gestalten In der Corona-Zeit sanken die Fehlzeiten. Grund: Homeoffice auf breiter Front und Maskenpflicht. Danach, im Jahr 2022, stiegen sie sprunghaft. | Foto: © I. Samkov/Pexels kontinuierlich, in der Spitze auf 6,4 Prozent in 2019. Mit der Pandemie sind die Fehlzeiten in den Jahren 2020 und 2021 wieder gesunken. Ursachen hierfür sind unter anderem: eine flächendeckende Anordnung von Homeoffice, die Distanz der Beschäftigten und die Maskenpflicht — diesen Effekt gibt es vermutlich auch in anderen Branchen. In 2022 stieg dann die Fehlzeitenquote sprunghaft auf 6,8 Prozent. Im Folgejahr ist die Quote wieder auf das Niveau von 2019 gesunken. Was sind Erklärungsansätze von unserer Seite? Die Hauptursache für den langfristigen Trend sehe ich in der Demografie. Unsere Belegschaft ist ein Spiegel der Gesellschaft — auch sie altert zunehmend. Bildet sich das denn in den Fehlzeiten ab? Also, dass Ältere dann auch länger aufgrund im Alter häufiger auftretender Erkrankungen wie Herz-Kreislauf oder Muskel-Skelett-Erkrankungen fehlen, wie das ja in der allgemeinen Krankenversicherungsstatistik zu beobachten ist? Ja, unsere Statistiken zeigen deutlich, dass die Fehlzeitenquote mit zunehmendem Alter steigt. Dabei nimmt gar nicht zwingend die Häufigkeit der Erkrankungen zu, sondern eher die Dauer. Ich glaube aber, das ist eine normale Entwicklung. Weiterhin sehen wir eine etwas höhere Fehlzeitenquote bei den Frauen. Die Zahl der Langzeiterkrankungen ist seit Jahren relativ konstant. Wichtig ist: In unserer Erhebung wird jede Fehlzeit, die vom Unternehmen anerkannt wird, erfasst — also auch die ohne AU-Bescheinigung. Das heißt, wenn wir unsere Zahlen mit denen der gesetzlichen Krankenkassen vergleichen, liegen wir immer über deren Quoten, weil wir auch Kurzzeiterkrankungen erfassen. Was wir auch anschauen, ist die Gesundheitsquote. Das ist der Anteil der Beschäftigten, die sich nie krankmelden. Ein gutes Drittel der Beschäftigten ist nie krank (20 Prozent) beziehungsweise nur kurzzeitkrank (17 Prozent). Kurzzeitkrank sind dabei diejenigen, die sich weniger als bis zu drei Tage im Gesamtjahr krankmelden. Da könnte man gegebenenfalls ein Auge drauf haben hinsichtlich Präsentismus — also, dass Beschäftigte sich auf die Arbeit schleppen, auch wenn sie es vielleicht eigentlich gar nicht könnten, oder sich nicht krankmelden. Die vielleicht dann auch gar nicht so produktiv sind, trotzdem zur Arbeit kommen — das ist dann allerdings auch eine Frage der Messbarkeit. Nach meinem Kenntnisstand ist Präsentismus in unserer Branche kein Thema. An dieser Stelle können die Arbeitgeber nur an die Eigenverantwortung ihrer Beschäftigten appellieren. Welche Maßnahmen ergreifen die Unternehmen, welche Maßnahmen sind erfolgreich und wie greifen Ihre Unternehmen das Thema »Eigenverantwortung« der Beschäftigten auf im Sinne von Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit? Grundvoraussetzung für erfolgreiche und resiliente Unternehmen ist eine gesunde und motivierte Belegschaft. Die Themen »Gesundheit« und »Gesundheitsschutz« haben die Unternehmen stark im Blick, auch weil durch krankheitsbedingte Ausfälle hohe Kosten entstehen. Auch vor dem Hintergrund des Fach- 55
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