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Das Fachmagazin zur Arbeits- und Betriebswelt von heute und morgen.

WERKWANDEL 01/2022 Vordenker Stefan Wolf hält eine Einwanderungspolitik nach dem Vorbild Kanadas für unverzichtbar. Foto: Rawpixel/stock.adobe.com Bundesregierung und EU-Kommission schnell und sinnvoll tätig werden. Auch Bürokratieabbau erhöht das Erwerbspersonenpotenzial. Die Funke Mediengruppe zitiert Sie mit dem Satz: »Wir werden in den nächsten Jahren über ein Renteneintrittsalter von 69 bis 70 Jahren reden müssen.« Wolf: Ich glaube, wir müssen da die ehrliche Diskussion führen, die sich die Politik nicht traut. Wie erwähnt, gehen in den nächsten Jahren fünf Millionen Babyboomer in Rente. Sie werden erfreulicherweise im Schnitt länger leben als die Generationen vor ihnen und entsprechend länger Rente beziehen. Auf der anderen Seite wurden 1964, dem geburtenstärksten Jahrgang, fast doppelt so viele Kinder geboren wie heute. Das heißt: Sehr viele Rentenempfänger, die lange Rente beziehen, und nur wenige, die in die Rente einzahlen. Und schon heute zahlt der Steuerzahler 100 Milliarden Euro im Jahr dazu! Das kann nicht aufgehen. Und das Problem zu ignorieren hilft nun einmal auch nicht. Nach Zahlen der deutschen Rentenversicherung liegt das tatsächliche durchschnittliche Renteneintrittsalter (2019) bei 62,3 Jahren. Es hat sich seit 1993 nur um zwei Jahre erhöht. Was sollte die neue Bundesregierung tun, um für einen Renteneintritt jenseits der 67 Jahre (bis 2031) zu sorgen? Wolf: Um das ins Verhältnis zu setzen: Während das durchschnittliche Renteneintrittsalter um zwei Jahre gestiegen ist, ist die Lebenserwartung um vier Jahre gestiegen. Die Rente mit 63 haben natürlich viele gerne in Anspruch genommen. Wer Freibier verteilt, braucht sich nicht zu wundern, wenn mehr Bier getrunken wird. Insofern wäre es schon ein wichtiger Schritt, nicht immer weiter Wahlgeschenke zu verteilen. Welche Arbeitsangebote hat die Industrie für Menschen jenseits der 65? Wolf: Für jeden Einzelfall finden wir im Betrieb immer eine geeignete Lösung — technisch wie organisatorisch. Und dann muss man doch feststellen, dass die Arbeitswelt heute eine völlig andere als vor fünf, zehn oder gar 100 Jahren ist. Früher wurden beispielsweise schwere Teile von Hand gehoben und getragen, heute übernehmen so etwas mechanische Lösungen. Ohne Frage gibt es immer noch körperlich fordernde Arbeitsplätze. Es ist gut und notwendig, die Arbeitswelt nach dem Stand der arbeitswissenschaftlichen Forschung zu gestalten. Danach ist eben aber auch die mögliche Dauer von Arbeits- und Ruhezeiten zu beurteilen. Was können Unternehmen tun, damit Ältere länger im Arbeitsprozess verbleiben (können)? Welcher Forschungsbedarf ergibt sich daraus arbeitswissenschaftlich? Wolf: Natürlich ist die körperliche Verfassung in der Regel mit 60 Jahren eine andere als mit 25. Aber mit 20, 30 Jahren Erfahrung arbeitet doch auch jeder anders als noch als Berufseinsteiger. Dabei ist es natürlich wichtig, die Arbeit so zu gestalten, dass sie langfristig so wenig belastet wie möglich. Da gibt es immer noch etwas zu verbessern. Deshalb ist für uns das ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, so wertvoll: Hier wird wissenschaftliche Forschung mit alltagstauglicher Umsetzung kombiniert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 80 Prozent steigern. Fürchten Sie hier nicht um die Versorgungssicherheit unserer Fabriken? Wolf: Ich kann aus Unternehmersicht nur zweierlei sagen: Erstens muss die benötigte Energie jederzeit zuverlässig zur Verfügung stehen. Ich kann aufwän- 14

WERKWANDEL 01/2022 Vordenker Wenn die Politik uns wirklich unterstützen will, soll sie die Kosten der Produktion am Standort Deutschland senken. Stefan Wolf Exoskelette können ältere Arbeitnehmer in der Produktion entlasten. | Foto: Gorodenkoff/stock.adobe.com dige Produktionsprozesse nämlich nicht spontan danach steuern, wann genug Strom da ist. Und zweitens muss der Strom bezahlbar sein. An beiden Enden krankt es derzeit, und das ist für manche Investition dann auch eine entscheidende Frage. Was raten Sie der neuen Bundesregierung im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft? Wolf: Wir brauchen insgesamt eine Politik, die sich für die richtigen Standortbedingungen, mehr Wachstum und Beschäftigung stark macht. Dazu gehören nicht zuletzt die Deckelung der Sozialabgaben bei 40 Prozent und die Wahrung der Tarifautonomie. Die Verbrenner-Technologie ist ein Teil des Tafelsilbers der deutschen Industrie. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: »Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, … indem wir … die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen.« Die Ampel will »den Transformationsprozess der deutschen Automobilindustrie vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Dekarbonisierung unterstützen«. Wie könnte und sollte dies Ihrer Meinung nach aussehen? Wolf: Wenn die Politik uns wirklich unterstützen will, soll sie die Kosten der Produktion am Standort Deutschland senken. Wir haben hier längst klimafreundliche Produkte und werden noch mehr entwickeln. Aber wenn wir dem Weltklima wirklich helfen wollen, dann hilft es nicht, alle Verbrenner in Deutschland stillzulegen — sondern dann müssen wir beispielsweise eine Brennstoffzelle in jeden indischen Lieferwagen einbauen. »Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien, Cybersicherheit, Distributed-Ledger-Technologie (DLT), Robotik und weitere Zukunftstechnologien stärken wir messbar«, haben sich die Ampel-Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen. Was sollte die neue Bundesregierung aus Sicht der M+E-Industrie als erstes anpacken? Wolf: Wenn die Politik glaubt, am grünen Tisch entscheiden zu können, welche Technologie zukunftsfähig ist, dann haben wir schon verloren. Es gibt nur einen, der festlegt welche Technologie zukunftsfähig ist: der Kunde. Es ist immer gefährlich, wenn die Politik zu wissen glaubt, wie das Ergebnis von Wettbewerb aussehen wird. Interview: Carsten Seim WERKWANDEL-Interviewpartner Der Jurist Dr. Stefan Wolf ist seit dem 26. November 2020 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Weitere Informationen zu seiner Person. → Seit 2006 ist Stefan Wolf Vorsitzender des Vorstandes der ElringKlinger AG. Das Unternehmen mit Sitz im badenwürttembergischen Dettingen an der Erms ist ein weltweit führender Automobilzulieferer. → Stammsitz der ElringKlinger AG in Dettingen. Foto: ElringKlinger AG Autor +49 179 2043542 Carsten Seim Redakteur avaris | konzept Carsten Seim betreut langjährig Interviews über arbeitswissenschaftliche Fachthemen. 15

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