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WERKWANDEL Ausgabe 1/2023 Schwerpunkt Fachkräftesicherung

WERKWANDEL 01/2023 Arbeitswelt gestalten Alter ist nicht gleichbedeutend mit Stillstand Alter(n) bedeutet keineswegs Stillstand: Ältere Menschen können sich in puncto Sozialkompetenz, Beurteilungsvermögen oder Gelassenheit im Laufe der Zeit verbessern. Im Hinblick auf arbeitsbezogene Belange sind betriebsspezifisches Wissen, Geübtheit, Verantwortungs- und Pflichtgefühl sowie Zuverlässigkeit und Qualitätsbewusstsein wichtig. Auch diese Aspekte können im Alter weiter optimiert werden. Eine einseitige, defizitorientierte Sichtweise des Alterns entspricht nicht der Realität. Eine bedeutsame Aussage der Alternsforschung ist, dass Menschen unterschiedlich altern — die Streuung von Fähigkeiten zwischen gleichaltrigen älteren Personen ist sehr groß (Buck, Kistler & Mendius 2002). Dabei hängt die Art und Weise unseres Alterns nicht nur von unseren Erbanlagen ab. Körper und Geist fit zu halten sowie eine gesundheitsbewusste Lebensführung tragen nicht nur zum Erhalt von Arbeits- und Leistungsfähigkeit, sondern auch zum Wohlbefinden bei. Jede*r Einzelne ist somit für seinen/ihren persönlichen Alterungsprozess mitverantwortlich. Unternehmen können durch eine gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Foto: cottonbro-studio/Pexels Arbeitsaufgaben ebenfalls einen Beitrag leisten — schließlich verbringen wir in der Regel einen Großteil unserer Zeit im beruflichen Kontext. Hans ist ein engagierter Beschäftigter. Doch neben seinen beruflichen Verpflichtungen ist er auch Vater — und dieser Rolle möchte er natürlich gerecht werden. Momentan hat er das Gefühl, dass seine Kinder zu kurz kommen. Wenn Unternehmen berücksichtigen, dass verschiedene Phasen im Leben unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringen und sie Beschäftigte dabei unterstützen, diesen verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden — lebensphasenorientierte Personalpolitik ist hier das Stichwort — tragen sie zum Erhalt von Motivation und Leistungsfähigkeit bei und schaffen eine gute Basis dafür, dass Beschäftigte lange im Unternehmen bleiben. Arbeitsfähigkeit messen? Möchte ein Betrieb wissen, wie es um die Arbeitsfähigkeit einzelner Beschäftigter bestellt ist (zum Beispiel, um rechtzeitig Präventionsmaßnahmen auszubauen), kann er den Work Ability Index (WAI) heranziehen. Der WAI (auch als Arbeitsfähigkeitsindex oder Arbeitsbewältigungsindex bezeichnet) ist ein Fragebogen-Instrument, mit dessen Hilfe die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten »gemessen« werden kann mit dem Ziel, diese zu fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Der WAI baut auf dem Konzept der Arbeitsfähigkeit, das durch das »Haus der Arbeitsfähigkeit« (s. o.) visualisiert wird, auf. Mit der Beantwortung der Fragen geben Beschäftigte eine subjektive Einschätzung ihrer aktuellen und künftigen Arbeitsfähigkeit. Entweder füllt der/die Beschäftigte den Fragebogen selbst aus, oder die Beantwortung erfolgt im Rahmen eines Gesprächs mit dem/der Betriebsarzt/ Betriebsärztin. Der Fragebogen, der in einer Langund Kurzversion existiert, kann auf der Internetseite des WAI-Netzwerkes abgerufen werden. Wie Arbeitgeber gemeinsam mit einem/einer Beschäftigten die individuelle Arbeitsfähigkeit bewerten können, zeigt das Faktenblatt zum WAI vom ifaa. Hans fühlt sich zunehmend gestresst. Auf viele Fragen der Beschäftigten hat er keine Antwort parat und muss sich zwischen seinen Hauptaufgaben im Internet schlau machen — aber auch das hilft ihm nicht immer weiter. Seine Chefin sitzt ihm im Nacken, weil Arbeit liegen bleibt. Zu Hause ist er launisch, seine pubertierenden Söhne tragen nicht gerade zur Entspannung der Situation bei. Hans schläft schlecht, weil er bis spät am Abend Dinge recherchiert, für die er während der Arbeit keine Zeit hat. 50

WERKWANDEL 01/2023 Arbeitswelt gestalten Wenn Unternehmen eine lebensphasenorientierte Personalpolitik betreiben, erhalten sie die Motivation und Leistungsfähigkeit ihrer Beschäftigten und sorgen dafür, dass Beschäftigte möglichst lang im Unternehmen bleiben können. Nora Johanna Schüth Der WAI gibt allerdings keine Hinweise auf mögliche Maßnahmen — diese sollten zum Beispiel vom betriebsärztlichen Personal gemeinsam mit dem/der Beschäftigten festgelegt werden. Wenn es sich nicht um medizinische Themen handelt, kann auch der direkte Vorgesetzte ein guter erster Ansprechpartner für die Planung notwendiger Schritte sein. Als das Unternehmen mit »systemrelevanten«, wie Hans sie nennt, Beschäftigten den WAI durchführt, wird deutlich, welche Stellschrauben angefasst werden müssen, damit sich seine Situation verbessert. »Ich bekomme jetzt Unterstützung durch einen weiteren Mitarbeiter. Wenn ich ihn eingearbeitet habe, kann ich einen Teil meiner Überstunden abbauen — aber noch viel wichtiger: die Fortbildungen. Klar war es wichtig, dass ich ansprechbar war, aber ich konnte ja auch teilweise gar nicht ohne großen Aufwand helfen … war wie abgehängt. Das hat mich gestresst. Und meine Jungs«, lacht er. Beispiele wie das von Hans machen deutlich, dass Betriebe rechtzeitig ein Auge auf die Anforderungen an ihre Beschäftigten haben sollten. Ihre Freizeit dient der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Haben sie diese nicht, können die Kraftreserven nicht mehr aufgefüllt werden. Welchen Wert der Erhalt beziehungsweise Aufbau von Kompetenzen hat, zeigt die Geschichte von Hans ebenso deutlich. Neben einem offenen Ohr der Führungskräfte und der Einschätzung von (Kompetenz-)Ressourcen kann auch die Motivation der Beschäftigten zu gesundheitserhaltenden Maßnahmen (zum Beispiel Betriebssport, Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, gesundes Kantinenessen) gewinnbringend sein — für das Unternehmen wie auch für die Beschäftigten. Wertschätzung, die sich auch in Form von Toleranz und Respekt gegenüber älteren Beschäftigten äußert, ist ein wichtiger Baustein für eine gesunde Unternehmenskultur. Gerade vor dem Hintergrund des Fach- und Arbeitskräftemangels sind Unternehmen gut beraten, in ihre Belegschaft mit entsprechenden Angeboten und Maßnahmen zu investieren — und zwar altersunabhängig. Auch das Umsetzen einer vielfaltsbewussten Personalpolitik kann einen Beitrag dazu leisten, dem Fach- und Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Literatur Buck H, Kistler E & Mendius HG (2002) Demographischer Wandel in der Arbeitswelt: Chancen für eine innovative Arbeitsgestaltung. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:- de:0168-ssoar-236182 [zugegriffen am 12. Januar 2023] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Hrsg.) (2017) Alterns und altersgerechte Arbeitsgestaltung Grundlagen und Handlungsfelder für die Praxis https:// www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/Arbeitsgestaltung.pdf?_blob=publicationFile&v=8 [Zugegriffen am 12. Januar 2023] Lehr U (2007) Psychologie des Alterns. Quelle & Meyer, Wiebelsheim Rimser M (2014) Generation Ressource Management. Springer, Wiesbaden Tempel J, Ilmarinen J (2013) Arbeitsleben 2025. Das Haus der Arbeitsfähigkeit im Unternehmen bauen. Giesert M (Hrsg.) VSA Verlag, Hamburg Autorinnen +49 211 542263-45 +49 211 542263-31 Nora Johanna Schüth, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachbereich Arbeits- und Leistungsfähigkeit ifaa — Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. Nora Johanna Schüth will mit dem Vorurteil aufräumen, dass ältere Beschäftigte kein Interesse an Weiterbildung hätten. Dr. phil. Catharina Stahn Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachbereich Arbeits- und Leistungsfähigkeit ifaa — Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. Catharina Stahn schätzt die Zusammenarbeit mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. 51

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