Aufrufe
vor 1 Jahr

WERKWANDEL 2_2024

  • Text
  • Gestalten
  • Mitarbeiter
  • Institut
  • Arbeit
  • Arbeitszeit
  • Ifaa
  • Foto
  • Arbeitswelt
  • Werkwandel
  • Unternehmen
Das Arbeitsweltmagazin

WERKWANDEL 02/2024 Vordenker der Berichterstattung liegt auf Großunternehmen. Kaum berichtet wird über die Lage im unternehmerischen Mittelstand, der Baden-Württembergs Wirtschaft dominiert. Was uns alle außerdem besorgen sollte: Von Bankern höre ich, dass aktuell sehr oft Beratungen zu Auslandsinvestitionen stattfinden, weil Unternehmen die angesprochenen Belastungen hierzulande nicht mehr schultern können. Nun kommt der Demografie-bedingte, von der Politik kaum beeinflussbare wachsende Fachkräftemangel hinzu. Wenn mir dann noch die Arbeitskräfte fehlen, dann ist die Entscheidung, die ich als Unternehmer zu treffen habe, schnell klar. Was wären denn Ihre Wünsche, damit die Ampel wieder auf Grün für Wirtschaft und Arbeitsplätze steht? 1. Wir brauchen ein investitionsfreundliches Klima. Die Politik muss dafür sorgen, dass sich Investitionen in Deutschland wieder lohnen. Wenn wir in dieser Situation verharren, verwalten wir die Vergangenheit. Das wäre nichts anderes als Abwirtschaften mit der Folge einer nicht mehr aufzuhaltenden Deindustrialisierung. 2. Wir müssen die im internationalen Wettbewerb unerträglich hohen Energiepreise in Deutschland senken. Die Globalisierung erleichtert es den Unternehmen, auch anderenorts zu produzieren. Die Juristen in meinem Verband beraten derzeit sehr viele Mittelständler bei entsprechenden Unternehmensänderungen. Die Abwanderung findet also bereits statt. Breit durch die Medien gegangen ist die Entscheidung von Stihl, in Ludwigsburg kein neues Werk zu bauen. Man prüft einen Standort ausgerechnet in der Schweiz. Richtig ist: In der Schweiz wird mehr gearbeitet als bei uns. Es gibt auch EU-Länder, in denen man aufs Jahr gerechnet einen ganzen Monat mehr arbeitet. 3. Wir brauchen mit Blick auf unsere Arbeitskosten eine Reform des Sozialstaates. Das Rentenpaket von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wird zusätzliche Kosten von 30 bis 40 Milliarden Euro verursachen. Daran ändert auch der von Finanzminister Christian Lindner gleichzeitig auf dem Weg gebrachte Mini-Einstieg in die Aktienrente nichts. Foto: Naknakhone/stock.adobe.com In Deutschland ist der Industriestrompreis deutlich höher als in Asien. | Quelle: Prognos AG — Studie für die vbw, eigene Darstellung (Oktober 2023, Angabe in Euro) 16

WERKWANDEL 02/2024 Arbeitswelt vor Ort Fahrerlose Transportsysteme (FTS) im Porsche-Stammwerk Stuttgart-Zuffenhausen: Hier werden die Baureihe 911 und der elektrische Taycan produziert. | Foto: Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG Das Bild vom »kranken Mann Europas« mache ich mir dennoch nicht zu eigen. Meine Diagnose stattdessen: Wir liegen noch nicht auf der Intensivstation. Aber der Hausarzt hat die Krankmeldung schon ausgestellt. Ich verstehe nicht, mit welchen Augen der Bundeskanzler auf diese Lage schaut. Sie haben vorhin die Arbeitszeiten im internationalen Vergleich angesprochen. In Deutschland setzen sich Gewerkschaften für weitere Arbeitszeitverkürzungen ein … »Mehr Geld — mehr Freizeit« ist als Claim für Maikundgebungen eingängig. Meine Antwort in der Sache: Das geht nicht. Wir haben einen wachsenden Arbeitskräftemangel und extrem hohe Arbeitskosten. Wenn der DGB und bis zuletzt auch die IG Metall behaupten, dass Mitarbeiter bei einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich produktiver wären, dann ist das ein Märchen und wissenschaftlich nicht belegt. (Siehe auch Beitrag von ifaa-Autor Dr. Ufuk Altun in dieser Ausgabe des WERKWANDELS.) Ich würde fast so weit gehen zu sagen: Das ist eine vorsätzliche Falschbehauptung. Wenn wir auf 32 Stunden reduzierten, würden uns knapp neun Prozent Arbeitszeit fehlen. Hinzukommt: Wir brauchen jedes Jahr in einem M+E-Betrieb 3 bis 4 Prozent mehr Produktivität, um die steigenden Kosten zu decken — also nur, um den Status quo zu halten. Wenn das »Märchen« des DGB wahrwerden würde, bräuchten wir grob geschätzt in einem Schritt eine Produktivitätssteigerung von 12 bis 14 Prozent! Ich habe 20 Jahre in der Industrie gearbeitet. Ich kenne kein Werk, dass seine Produktivität in einer solchen Größenordnung in kürzester Zeit steigern konnte. Die Verteilung der Arbeitszeit zum Beispiel auf vier Tage — das geht aber heute schon! Unser Tarifvertrag ist da bereits sehr flexibel. Wir haben auch sehr moderne Systeme, über die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten untereinander abstimmen können, um Arbeitszeit und Privatleben optimal zu vereinbaren. Was veranlasst die Gewerkschaft dazu, solche Forderungen zu stellen, wo doch auch sie die betrieblichen Realitäten kennt? Ich halte das für purem Populismus. Persönlich sehr geärgert habe ich mich auch über den absurden GdL-Tarifkonflikt. Dieser hat das gesamte Modell der Sozialpartnerschaft beschädigt und gefährdet. Sozialpartner sollten darüber beraten, wie sie die Wirtschaft gemeinsam nach vorn bringen. Was sollten Sozialpartner und Politik denn jetzt vor allem im Blick haben? Auch Unternehmen können jeden Euro nur einmal ausgeben. Was hilft es uns allen, wenn Unternehmer mit den Füßen abstimmen und abwandern? Das gefährdet unseren Wohlstand! Wir stehen an einem Kipp-Punkt. In KMU, die unsere Wirtschaft prägen, geschieht Arbeitsplatzverlust vielfach schleichend und unbemerkt. Sie lassen einen Produktzyklus auslaufen, schließen die Produktionsstätte und gehen mit einem neuen Produkt möglicherweise nach Osteuropa. Bisher geschieht der Abbau von Stellen auch deswegen weitgehend lautlos, weil der Arbeitsmarkt leergefegt ist und von Stellenstreichungen Betroffene schnell etwas Neues finden. Allerdings hat die Bundesagentur für Arbeit für 17

© 2021 ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.

DatenschutzImpressum