WERKWANDEL 02/2023 Wissenschaft direkt Aufhängung Reinigen Lackieren Brennen Qualitätskontrolle Arbeitsgänge der Oberflächentechnik (OFT) In dieser Station müssen alle Produkte über Traversen an ein Fördersystem gehängt werden, an dem diese dann die verschiedenen Arbeitsstationen der OFT durchlaufen. Die auf den ersten Blick sehr einfach wirkenden Arbeitsschritte erwiesen sich bei näherer Betrachtung als sehr komplex und wissensintensiv. In der Aufnahmestation müssen Mitarbeiter sehr flexibel und anpassungsfähig sein. Sie brauchen auch viel Erfahrungswissen, um die Prozesse effizient und prozesssicher zu koordinieren. Beim Aufhängen liegen die zeitlichen Abläufe aller Stationen der OFT und die Auslastung des Hochenergieofens in der Verantwortung der Mitarbeiter. Prozess- und Anforderungsermittlung in Kooperation mit den Beschäftigten Aus einer detaillierten Prozess- und Anforderungsanalyse resultiert ein soziotechnisches Lastenheft. Dieses dient den technischen Partnern als Basis zur Entwicklung des KI-basierten Assistenzsystems. Dazu werden die Anforderungen in einen funktionalen, technischen und qualitativen sowie in einen organisationalen, ethischen und rechtlichen Bereich geclustert. So können diesen Bereichen zum einen die anzuwendenden Methoden und zum anderen die benötigten Personengruppen im Unternehmen zugeordnet werden. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Gruppen zur Ermittlung der jeweiligen Anforderungen strukturiert. Die Ausgestaltung der Methoden und die entsprechende Zuordnung der Personengruppen sind für jedes Unternehmen individuell zu betrachten und können entsprechend angepasst werden. Die Projektverantwortlichen nutzen verschiedene Methoden der sozialwissenschaftlichen Feldforschung, um diesen Prozess für die Anforderungserhebung des KI-Systems zu erfassen. Diese werden in Form eines Regelkreises in den Unter- Ermittlung funktionaler Anforderungen Ermittlung technischer und qualitativer Anforderungen Ermittlung organisationaler, ethischer und rechtlicher Anforderungen Projektziele, gewünschte Anwendungsfälle Beobachtung Anwender-Interviews Fragebögen Anwender, Management, Projektverantwortliche Interview Fragebögen Workshop Verantwortliche IT, Technik Interview Fragebögen ELSI-Workshop Management, Projektverantwortliche, Betriebsrat, Anwender Sammlung, Klassifizierung, Bewertung und Prüfung der Anforderungen, iteratives (schrittweises) Vorgehen, Erstellung Lastenheft Anforderungserhebung mit unterschiedlichen Methoden und Zielgruppen. Begriffserklärung ELSI: ELSI ist die Abkürzung für »Ethical, Legal and Social Implications«, übersetzt bedeutet es so viel wie »ethische, rechtliche und soziale Auswirkungen«. 32
WERKWANDEL 02/2023 Wissenschaft direkt nehmen mit den entsprechenden Mitarbeitern angewendet. Damit wird der Prozess verfeinert. Konkretes Vorgehen bei der apra-norm Elektromechanik GmbH: Zu Beginn der Anforderungsanalyse fand ein gemeinsamer Workshop mit der Führungsebene und der Leitungsebene der OFT statt. Zielsetzung dabei waren eine erste Prozessanalyse und die Festlegung der Umsetzungsziele im Projekt aus Sicht der Entscheidungsträger. Das so entstandene Prozessabbild zeigte bereits die Komplexität in der Aufnahmestation. Es zeigte aber auch, dass die entscheidenden Vorgaben für die wichtigen Prozessabläufe in allen Bereichen der OFT gemacht werden. Die Festlegungen und das Prozessbild aus dem ersten Workshop mit der Führungsebene bildeten die abgestimmte Ausgangsbasis für das weitere Vorgehen. So erarbeitete man zum Beispiel mit der innerbetrieblichen IT, welche Systeme und wichtigen Informationen eventuell bereits digital vorliegen oder digitalisiert zur Verfügung gestellt werden können. Bei allen Maßnahmen stimmten sich die Projektverantwortlichen im Interesse möglichst hoher Transparenz und Akzeptanz eng mit dem Betriebsrat ab. Die im Projekt wichtigste Personengruppe sind aber die mitarbeitenden Fachkräfte an der Anlage selbst. Das implizite Wissen und Erfahrungswissen dieser Beschäftigten soll im weiteren Projektverlauf erfasst werden. Bei einer Auftaktveranstaltung erfuhren die Mitarbeitenden alles über die Projekt- und Unternehmensziele. Ziel war es, die Akzeptanz der Technik- und KI-Einführung zu steigern sowie die Mit- und Zusammenarbeit zu stärken. In mehreren Stufen ermittelt das Projektteam im persönlichen Austausch mit den einzelnen Beschäftigten deren Sicht des Prozesses, die individuellen Herangehensweisen und die persönlichen Bedarfe. Leitfadengestützte Interviews erfassten neben soziodemografischen Daten auch die Technikaffinität sowie eventuell den Migrationshintergrund beziehungsweise Sprachbarrieren der Mitarbeitenden; es ging hier auch um deren eigene Vorstellungen und Ideen zur Verbesserung des Arbeitsprozesses durch KI-basierte Assistenz. Diese Interviews wurden ergänzt durch die Ergebnisse einer stillen und einer teilnehmenden Beobachtung der einzelnen Mitarbeitenden während ihrer Arbeit an der Station. Diese Daten und Informationen dienten zur Vervollständigung des Analyse Prozessdarstellung Anforderungen soziotechnisches Lastenheft Interview teilnehmendes Beobachten stilles Beobachten Nebeneffekte: Kennenlernen Information Kommunikation Partizipation Konsolidierung Regelkreis für ein partizipatives Vorgehensmodell durch Kombination verschiedener Methoden Alle Unternehmensbereiche einbezogen Prozessabbildes. Alle beteiligten Personen diskutierten und verifizierten sie in einem Konsolidierungsworkshop — die folgende Abbildung zeigt die durchgeführte Evaluation. Diese unterstreicht die gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern sowie eine umfangreiche Informationsweitergabe und -mitnahme. Praktische Erfahrungen können erst nach einer Umsetzung des geplanten Demonstrators im Unternehmen bewertet werden. Lastenheft für das neue KI-Assistenzsystem Das so entstehende Prozessabbild bildet die Grundlage für das Lastenheft, mit dessen Hilfe ein auf den Anwendungsfall zugeschnittenes KI-basiertes Assistenzsystem konzeptioniert werden kann. Dieses soll alle notwendigen Prozessdaten automatisiert aufnehmen und verarbeiten können. Das entstandene Systemabbild enthält neben dem rein technischen Ablauf des Arbeitsprozesses auch das Erfahrungswissen der Beschäftigten durch das partizipative Vorgehen im Projekt. 33
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