WERKWANDEL 02/2023 Wissenschaft direkt Foto: Susanne Jutzeler/pexels Wege zu mehr Sicherheit für Mitarbeiter Wir können durch die Gestaltung der Arbeitsmittel, der Arbeitsumgebung und der Prozesse (dem »T« und »O« aus dem bekannten TOP-Prinzip der Arbeitssicherheit — technische und organisatorische haben Vorrang vor personenbezogenen Maßnahmen) viel dafür tun, dass Mitarbeiter sich eher für die sichere Arbeitsvariante entscheiden: Durch leicht zu tragende Schutzausrüstung ebenso wie durch das Layout der Werkhalle: Dieses darf nicht zum »Abkürzen« auf verbotenen Wegen verführen. Doch selbst bei idealen Voraussetzungen bleibt ein Rest an Mehraufwand, der mit dem sicheren Arbeiten einhergeht. Hier setzt die verhaltensorientierte Arbeitssicherheit (Behavior Based Safety, BBS) an. BBS ist ein Konzept zur Verbesserung des sicheren Arbeitens auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage. BBS nutzt die Naturgesetze des Verhaltens, um Menschen dabei zu helfen, sicher zu arbeiten. Dabei ist BBS nicht die »Marke« einer Unternehmensberatung, sondern eine Anwendung der Verhaltenswissenschaft. Konzepte auf der Grundlage der Prinzipien von BBS gelten als die am besten untersuchten und wirksamsten, um das Verhalten im Bereich der Arbeitssicherheit zu beeinflussen und nachhaltig die Zahl der Arbeitsunfälle zu reduzieren. Die Prinzipien von BBS lauten: ›› Sicheres Verhalten muss eindeutig und beobachtbar definiert werden. Nur wenn allen Beteiligten klar ist, was das sichere Verhalten denn konkret ist, kann es auch geändert werden. »Aufmerksamer sein« ist in diesem Sinne kein gut definiertes Verhalten. »Sich beim Treppensteigen am Handlauf festhalten« ist ein klar definiertes und beobachtbares Verhalten. Aber auch komplexere Verhaltensweisen eignen sich für BBS: »Der Mitarbeiter meldet eine Gefahrensituation weiter« ist ein Verhalten, das sich durch BBS fördern lässt. ›› Das sichere Verhalten muss beobachtet (gemessen) werden. BBS bedient sich der naturwissenschaftlichen Herangehensweise der Verhaltensanalyse. Daraus folgt, dass man bei BBS nicht über Verhalten spekuliert, sondern dass konkret erhoben wird, wie oft sich beispielsweise die Mitarbeiter tatsächlich schon am Handlauf festhalten. Das Beobachten bei BBS erfüllt aber noch einen anderen Zweck: Sicheres Verhalten soll bemerkt werden. Es geht also nicht darum, die Mitarbeiter dabei zu erwischen, wenn sie sich nicht richtig verhalten, sondern es geht darum, aufeinander Acht zu geben und sicheres Verhalten zu bemerken. Ist dieser Grundgedanke verinnerlicht, sträuben sich die Mitarbeiter nicht dagegen, dass ihr Verhalten beobachtet wird, sie erleben es vielmehr als Hilfe und Unterstützung, um sicherer arbeiten zu können. 42
WERKWANDEL 02/2023 Wissenschaft direkt ›› Der Mitarbeiter erhält positives oder konstruktives Feedback zu seinem Verhalten. Das Feedback soll spezifisch benennen, was der Mitarbeiter richtig gemacht hat. Wenn das Verhalten nicht richtig war, soll es nicht darum gehen, den Mitarbeiter dafür zu bestrafen oder zu kritisieren. Konstruktives Feedback bedeutet, dass man gemeinsam mit dem Mitarbeiter herausfinden möchte, was ihm dabei helfen würde, beim nächsten Mal sicherer zu arbeiten — zum Beispiel, dass er den Aufzug nimmt, wenn er einen Gegenstand mit beiden Händen tragen muss und daher nicht den Handlauf nutzen kann. ›› Die Mitarbeiter streben spezifische Ziele zur Veränderung ihres Verhaltens an. Wenn der Handlauf in einer Arbeitsgruppe zum Beispiel nur zu 20 Prozent genutzt wird, wird als Ziel — gemeinsam mit den Mitarbeitern — vereinbart, in den nächsten Tagen eine Quote von 50 Prozent zu erreichen. Ist dies geschafft, werden weitere Ziele vereinbart (zum Beispiel 80 Prozent), mit dem Endziel, am Ende »100 Prozent sicher« zu erreichen, also eine sichere Gewohnheit etabliert zu haben. Sicheres Verhalten muss beobachtet und gemessen werden. BBS basiert auf der Verhaltensanalyse. Christoph Bördlein ›› BBS findet vor dem Hintergrund der positiven Verstärkung statt. Es geht nicht darum, unsichere Arbeitsweisen zu bestrafen, sondern darum, sicheres Arbeiten wertzuschätzen. Diese Wertschätzung wird durch den Beobachter in der Beobachtungssituation vermittelt. Sie findet aber auch statt, wenn die bereits genannten verhaltensspezifischen Ziele erreicht werden. Dies kann sich auch über materielle Anreize ausdrücken, wobei diese Anreize immer verhaltensbezogen und in der Regel mehr von symbolischem Wert sind — sie drücken aus, dass es dem Betrieb etwas wert ist, wenn die Mitarbeiter eine schlechte, unsichere Gewohnheit abgelegt und sich eine gute, sichere Gewohnheit erarbeitet haben. BBS fußt auf einem positiven Menschenbild: Menschen verhalten sich so, wie sie es tun, weil die Umstände, unter denen sie arbeiten, bestimmtes Verhalten unwillentlich begünstigen. Sie arbeiten nicht unsicher, weil sie dumm, leichtsinnig oder unbelehrbar wären. BBS verändert die Bedingungen, unter denen die Mitarbeiter arbeiten. Sie erleben, dass ihr sicheres Arbeiten und ihr Einsatz für die Arbeitssicherheit anerkannt und wertgeschätzt werden. Sie erleben, dass die Versicherung aus dem Leitbild, dass ihre Gesundheit das Wichtigste ist, tatsächlich ernst gemeint ist. Mehr zum Thema: Bördlein, C. (2022). Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit — Behavior Based Safety (BBS) (3. Auflage ed.). Erich Schmidt Verlag. Hier auch als E-Book verfügbar. Autor +49 931 3511-8033 Professor Dr. Christoph Bördlein Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften Christoph Bördlein betont, dass Menschen nachhaltig sicherer arbeiten, wenn ihr Einsatz für die Arbeitssicherheit anerkannt und wertgeschätzt wird. 43
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