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WERKWANDEL 3_22

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WERKWANDEL 03/2022 Arbeitsrecht Arbeitszeiterfassung: Auf die Unternehmen kommt einiges zu. | Foto: © Susanne Plank/Pexels Verpflichtung zur (vollständigen) Arbeitszeiterfassung? Zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichtes im September lassen die Wogen in den Unternehmen und Verbänden hochschlagen. Im Raum steht eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), fürchtet, dass beispielsweise Modelle der Vertrauensarbeitszeit — Grundlage fürs Homeoffice — in Frage gestellt sein könnten. Der Arbeitsrechtler Prof. Dr. jur. Bernd Schiefer beleuchtet die juristischen Hintergründe der Debatte. Status quo zur Arbeitszeit im Deutschen Arbeitsrecht Die bisherige Regelung des deutschen Arbeitszeitgesetzes ist klar: Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber (ausschließlich) verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 ArbZG eingewilligt haben. Die höchstzulässige werktägliche Arbeitszeit beläuft sich gemäß § 3 ArbZG auf acht Stunden. Sie kann allerdings auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Monaten im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Neue Lage nach EuGH-Entscheidung und Urteil des Bundesarbeitsgerichtes Mit der sogenannten »Stechuhr-Entscheidung« 1 hat der EuGH die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber sei verpflichtet, ein »objektives, verlässliches und zugängliches System der Arbeitszeiterfassung« vorzuhalten. Eine unmittelbare Verpflichtung deutscher Unternehmen dürfte allerdings aus dieser Entscheidung richtigerweise nicht abzuleiten sein. 2 Im Gefolge der Entscheidung des EuGH ist nunmehr — gelinde gesagt — überraschend das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 13. September 2022 3 zu dem Ergebnis gekommen, der Arbeitgeber sei bei unionsrechtskonformer 64

WERKWANDEL 03/2022 Arbeitsrecht Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Diese Entscheidung ist insbesondere deswegen überraschend, da eine solche Verpflichtung aus der — vermeintlich — vorrangigen Regelung des Arbeitszeitgesetzes gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG gerade nicht abzuleiten ist. Die juristische Vorgeschichte der aktuellen Beschlüsse Ausgangspunkt des Beschlusses, der gegenwärtig erst mit Pressemitteilung vorliegt und erst nach Vorliegen der Begründung vollständig zu bewerten ist, waren instanzgerichtliche Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte München, Düsseldorf und Hamm 4 . Diese Entscheidungen kamen zu dem Ergebnis, dass der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG im Wege eines so genannten Initiativrechts die Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems von dem Arbeitgeber verlangen könne beziehungsweise dass ein solches Initiativrecht zumindest nicht ausgeschlossen sei. An der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1989 5 sei nicht festzuhalten. Das BAG hatte in dieser Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass dem Mitbestimmungstatbestand gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ausschließlich eine Abwehrfunktion zukomme. Ein Initiativrecht könne hieraus nicht abgeleitet werden. Mit seinem Beschluss vom 13.09.2022 ist das BAG einer diesbezüglichen Entscheidung (Abwehrrecht / Initiativrecht) aus dem Weg gegangen, indem es eine gesetzliche — nicht mitbestimmungspflichtige — Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit angenommen hat. Mögliches neues Gesetz zur Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit Es kann nunmehr darüber gerätselt werden, ob aus der Entscheidung des BAG eine allgemeine Aufzeichnungspflicht abzuleiten ist. Richtigerweise dürfte dies nicht der Fall sein. Das BAG hat allerdings mit seiner Entscheidung gegebenenfalls Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt. Mit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung oder aber der Ausgestaltung der Vorgaben für die Rechtsprechung dürfte in Kürze zu rechnen sein. Dass der Gesetzgeber hier eine Aufzeichnungspflicht normieren wird, steht nicht in Frage. Fraglich ist allerdings, wie diese ausgestaltet sein wird. Es bleibt insoweit zu hoffen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf »Sonderformen der Arbeit« (zum Beispiel Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice) Augenmaß walten lassen wird. Im Ergebnis sollten sich die Unternehmen darauf einstellen, dass sie — gegebenenfalls bereits jetzt im Anschluss an den Beschluss des BAG — ein System der Arbeitszeiterfassung einführen müssen. Es lässt sich zurzeit nicht verlässlich beantworten, ob es hierzu durchgehend ein »elektronisches« System braucht oder aber ob gegebenenfalls auch eine »händische« Aufzeichnungspflicht auf die Arbeitnehmer übertragen (delegiert) werden kann. Letzteres dürfte richtigerweise anzunehmen sein. Unsicherheit: Was ist eigentlich Arbeitszeit? Die besondere Schwierigkeit dürfte allerdings darin bestehen, dass sich für bestimmte Formen der Arbeit (zum Beispiel Rufbereitschaft, Dienst- Foto: © Pormezz/stock.adobe.com 65

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